Die Leistungen der Demokraten der Weimarer Republik sind weitgehend vergessen, und so verwundert es nicht, dass der Reichstagsabgeordnete Carl Diez (1877-1969) den Wenigsten ein Begriff ist. Diez stammte aus Öhningen, lebte dann in Radolfzell und wurde 1912 erstmals in den Reichstag gewählt. Ungewollte Bedeutung erlangte Diez, als er am 26. August 1921 den befreundeten Minister Matthias Erzberger bei einem Waldspaziergang begleitete, und rechte Terroristen Erzberger ermordeten. Carl Diez wurde so einziger Zeuge des Attentats und auch selber schwer verletzt. Das Attentat hat Diez sein Leben lang geprägt und hat wohl zum späteren Konflikt mit dem NS-Regime und mehrfacher Verhaftung im 3. Reich beigetragen.
Beschäftigt man sich genauer mit Carl Diez, so fällt seine beachtenswerte Mischung von Standfestigkeit und Flexibilität auf; er hatte seine feste Meinung, war aber auch fähig, diese zu hinterfragen. Dies zeigte sich auch im „Zentrumsstreit“ über die Ausrichtung der Partei. Für den gläubigen Katholiken war die Bedeutung der Kirche klar: „Papst & Bischöfe sind die von Gott berufenen Fürsten der Kirche.“ Aber da es in der Politik eben nicht um die Reinheit des Glaubens gehe, sei es im Eigeninteresse der Kirche, nicht in den politischen Tageskampf hineingezogen zu werden. Politisch folgt für Diez daraus: “ … sind und fühlen wir uns jedoch völlig unabhängig.“
Noch im Mai 1914 nahm Carl Diez an einer Verständigungskonferenz mit französischen Abgeordneten teil. Schon in den 20er Jahren befürwortete Diez den Zusammenschluss von Württemberg und Baden. Solche Positionen führten dazu, dass Diez immer wieder angegriffen und diffamiert wurde; auch wurde er als „Gandhi“ tituliert.
Die menschliche Verbundenheit zeigt sich bei Carl Diez auch in seinen Kriegserinnerungen aus Rumänien. Die Trauer eines Zigeuners um dessen verstorbene Frau und die Beerdigung eines deutschen Soldaten mit Anteilnahme über alle Konfessions-, Religions- und Nationalgrenzen hinweg bündelt Diez in einem Satz:
„Die Erde ist überall des Herrn“, und des gleichen Vaters Kinder sind wir Menschen, daher Brüder, auch wenn wir uns hassen.
Carl Diez – eine spannende Persönlichkeit und Beispiel dafür, wie viel wir noch lernen können.
Entwurf eines Artikels für das Konradsblatt, eine überarbeitete Fassung ist im Konradsblatt 25/2020 abgedruckt.
Dr. Konrad Schlude