Droht der Schweiz ein Blackout bei der Flugabwehr? Und was hat das mit IT zu tun?
Mit drastischen Worten beschreibt die NZZa.S. (8.12.2024) die Gefahr eines Blackouts bei der Flugabwehr der Schweiz. Es ist zunächst einmal ein militärisches Thema, aber dem Informatiker kommen die Aussagen gleich bekannt vor.
Da soll ein Neusystem namens «Skyview» eingeführt werden. Die NZZaS bezeichnet die Vision des neuen Systems als «bestechend», die Umsetzung sei aber schwierig und komplex. In der Folge explodieren die Kosten, und die Einführung verzögert sich um Jahre.
Auf der anderen Seite ist das Altsystem: Unbeliebt, teuer, auch hier explodiert der Aufwand. Die für den schwierigen Betrieb notwendigen Experten vom «hoffnungslos veralteten System Florako» hören immer nur negative Nachrichten und verabschieden sich irgendwann frustriert in die Rente oder kündigen.
Die Aufsichtsgremien reagieren ebenfalls frustriert und wütend. Nicht überraschend kommen Aussagen, dass man sich verschaukelt fühle; die Charakterisierung als «Katastrophe» zeigt, dass sich da eine gewaltige Schere zwischen dem ursprünglichen Plan und dem aktuellen Projektstand öffnet.
Und wieder einmal kommt von den Projektverantwortlichen der Spruch «Scheitern ist keine Option». Das «Failure is not an option» geht auf Wernher von Braun bei der Entwicklung der amerikanischen bemannten Raumfahrt zurück. Da es bei Weltraumflügen keine Pannenstreifen und keinen Ersatz gibt, muss das System sicher genug gebaut werden. Aber als Aufmunterungspruch bei IT-Projekten hat «Failure is not an option» auch schon versagt.
Was in der NZZaS nicht thematisiert wird, das ist die Stimmung in der Projektorganisation des Neusystems. Nach einiger Zeit mehrt sich oft bei vielen Projektbeteiligten die Einsicht, dass es doch viele Schwierigkeiten gibt, die den geplanten Projekterfolg behindern könnten. Aber Einwände werden allzu oft abgewimmelt und übergangen. Ein Grund dafür ist, dass niemand als erster das Scheitern thematisieren will; denn das würde mitunter ein schlechtes Licht auf die eigenen Leistungen werfen. Und so läuft die Projekt-Maschinerie immer weiter, bis dann das Scheitern nicht mehr verschwiegen werden kann.
Inneneinsichten aus einem dann gescheiterten Projekt sind unter anderem in der Online-Plattform insideparadeplatz.ch zu finden. Nachdem dort am 26.3.2013 ein kritischer Artikel «Wohin treibt die Six-Börsengruppe?» mit Bezug zum Projekt «Magellan» veröffentlicht worden war, schrieb eine Person mit Decknamen «(still) insideSIX» am 7.4.2013 einen Kommentar. Demnach sei auf Probleme hingewiesen worden, aber «Folge war, dass man als „Negativ-Denker“ und eine Art Volksverhetzer hergestellt wurde». Und auch eine Variante des «Failure is not an option» taucht im Kommentar auf: «Am Start von Projekt „Magellan“ wurde von unserem CEO T.Gross verkündet, dass dieses Projekt unbedingt ein Erfolg sein MUSS». Trotzdem ist das Projekt gescheitert.
Es sei noch ein weiteres konkretes Beispiel für einen gescheiterten Ersatz eines Altsystems genannt. Die Ablösung der teuren Mainframe/Host Plattform ist in der Credit Suisse über Jahrzehnte hinweg angestrebt worden, aber trotz vieler Teilerfolge mit der Migration einzelner Systeme ist die Plattform bis zuletzt gelaufen. Und auch hier gab es das Risiko, dass das Altsystem durch das Management verkannt wird. So berichtet ein Insider: „In diesem angelsächsischen Betrieb wurden die Mainframe-Informatiker (vorwiegend Schweizer/Europäer) sehr stiefmütterlich behandelt und dezimiert“
Eine generelle perfekte Vorgehensweise für das Ablösen eines Alt- durch ein Neusystem gibt es wohl nicht. Trotzdem gibt es einige Punkte zu beachten.
- Auch wenn die Vision des Neusystems noch so bestechend ist, das Altsystem muss mitunter noch lange Zeit den Benutzern zur Verfügung stehen. Die Bedeutung des Altsystems und seiner Betreuer darf nicht übersehen werden.
- Damit das Neusystem das alte ersetzen kann, muss die bisherige Funktionalität zur Verfügung gestellt werden. Die über Jahre ins Altsystem eingebaute Komplexität muss verstanden werden.
- Trotz neuesten Projektmanagementmethoden und neuesten Tools zur Projektmanagement: Ein Grundverständnis zum Hintergrund der Systeme sollte bei allen Beteiligten vorhanden sein.
- Es gibt immer unterschiedliche Sichtweisen auf Schwierigkeiten/Risiken beim Projektverlauf. Was aus Sicht eines Projektmitarbeiters ein gewaltiges Risiko darstellt, kann aus der Sicht eines anderen eine Kleinigkeit darstellen. Wer nur Risiken sieht, der bewegt sich nicht; wer alle Risiken abtut, der macht mitunter schnell eine Bruchlandung. Benötigt werden also eine differenzierte inhaltliche Betrachtung und Bewertung.
- Um auch mit dem sich in Entwicklung befindlichen Neusystem möglichst schnell brauchbare Resultate liefern zu können, sollte geprüft werden, inwieweit das Altsystem zum Erfolg beitragen kann.
Und was man auch nicht vergessen sollte:
- Da sich die IT-Technologie rasant entwickelt, wird auch das Neusystem in ein paar Jahren veraltet sein.