Vom Zentrum in die Mitte: Carl Diez im Zentrumsstreit

Aus der Materialsammlung von Carl Diez

Bald begehen wir das Jubiläum von 75 Jahre CDU, die Vorbereitungen sind angelaufen. Die Geschichte der CDU Jestetten seit dem 11. April 1946 bietet viele spannende Aspekte, wir dürfen dabei aber auch die Vorgeschichte nicht vergessen. Nehmen wir das Gründungsmitglied Hans (Johannes) Fricker als Beispiel, Vorstandsmitglied der Zentrumspartei vor 1933, 1940 hat er als Pfleger Patienten der Kreispflegeanstalt versteckt und so vor dem Abtransport und Ermordung bewahrt. Dass es auch hier viel zu entdecken gibt, das zeigt auch der „Zentrumsstreit“.

Mit „Zentrumsstreit“ bezeichnet man eine interne Auseinandersetzung über das Selbstverständnis der Zentrumspartei. Im „Kulturkampf“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurden Katholiken und die katholische Kirche auf vielfältige Art unter Druck gesetzt, die Zentrumspartei entwickelte sich in dieser Zeit zu einer „katholischen Partei“ mit katholischen Mitgliedern, katholischen Wählern und katholischen Abgeordneten, die Zentrumspartei als verlängerter Arm der Kirche.
Mit dem Nachlassen der staatlichen Repressionen wurden Stimmen laut, die eine Öffnung forderten, und so erklärte der Vorstand der Zentrumsfraktion im Reichstag im Jahr 1909, dass das Zentrum eine „nichtkonfessionelle Partei“ sei.Über Jahrzehnte hinweg wurde darüber immer wieder diskutiert und gestritten; und dass sich die Zentrumspartei nie zu einer durchgehenden Öffnung hat durchringen können, das war wohl mit ein Grund zur fatalen Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz 1933.

Der mit Jestetten verbundene Reichstagsabgeordnete Carl Diez (1877-1969, Abgeordneter 1912-1933) war natürlich auch in die Diskussionen im Zentrumsstreit involviert, der Nachlass Carl Diez´ im Stadtarchiv Singen erlaubt interessante Einblicke in seine Position.

Dass Diez in die Diskussionen eingebunden war, das zeigt sich schon in einer Art Materialsammlung mit einem Ausschnitt eines gedruckten Textes: „Das Zentrum ist eine grundsätzliche politische, nicht konfessionelle Partei.“

In einem leider nicht datierten Redemanuskript geht Diez genauer darauf ein. Er führt aus, dass sich das Zentrum auch für die Belange anderer Konfessionen und Religionsgemeinschaften eingesetzt hat. Als gläubiger Katholik ist für Diez die Stellung der Kirche klar: „Papst & Bischöfe sind die von Gott berufenen Fürsten der Kirche.“ Im Bereich der Politik „sind und fühlen wir uns jedoch völlig unabhängig.“ Es sei im „wohlverstandenen Interesse der Kirche“, nicht in den politischen Tageskampf hereingezogen“ zu werden.
Dass es auch wirklich ein Streit gewesen ist, das zeigt sich am Schluss des Redetextes: „Es ist bedauerlich, dass diese Binsenwahrheiten erst Urbi et Orbi festgestellt werden mussten. Dass unsere Gegner uns mit derlei Waffen bekämpften, wussten wir zu ertragen, dass aber diese Kundgebung zur Klärung im eigenen Lager nötig wurde, ist bedauerlich.“

Die Bereitschaft zur Offenheit führte Diez dann nach dem Krieg aus der alten Zentrumspartei von vor 1933 in die neue CDU, im Redemanuskript „Vertrauensmänner 23. Januar 1946 Radolfzell“ ist zu lesen:

Preisgabe Parteibezeichnung von sekundärer Natur. Bestes wäre keine alte Parteibezeichnung, die Bindung an altes Denken wäre leichter lösbar.
Früheres Zentrum setzte Parole „justitia fundamentum regnorum“ seiner Arbeit zu Grunde … Christliche Partei wird darin nichts ändern.

Wenn wir trotzdem alte Bezeichnung preisgeben, dann aus Erkenntnis, daß wir aus 12 Jahren Hitler und 6 Jahren Krieg gelernt (haben). Alle Werte, um die (die) Parteien sich stritten, sind in der Schicksalsgemeinschaft der Deutschen zusammengesunken.
Sie (d.h. die neue Partei) umfaßt alle, die sich 2000jährg. christlich. Kultur verpflichtet fühlen, auf Christus getauft sind und im sozialen Geiste des Evangeliums an das Aufräumen der Trümmer und den Wiederaufbau unseres Volkes herangehen wollen. Diesen Grundsätzen entspricht am besten die Parteibezeichnung Christl. Union.

Carl Diez zeigt sich hier klar als Vordenker der CDU.