Eine Erinnerung an Ernst Specker

Ernst Specker bei einem Vortrag

Diese Erinnerung an Ernst Specker (1920-2011) beginnt mit der Schwierigkeit, all die Eindrücke unter einen Hut zu bringen. Bei unserer ersten Begegnung – Ernst hat im Sommersemester 1996 eine Logikvorlesung an der ETH für den erkrankten Hans Läuchli gehalten – war Ernst bereits Mitte 70, und er ging hinkend mit seinem Stock; man wollte den armen Mann gleich stützen. Aber aus dem schwach erscheinenden Körper brach an der Tafel die „mathematische Energie“ aus, voller Begeisterung und mitreissend wurde die Welt der Mathematik und Logik erklärt; vertauschte Rollen, auf einmal hat man sich als Zuhörer alt gefühlt.

Ich besuchte dann noch das Logikseminar, das seinerzeit von Paul Bernays initiiert wurde; Ernst Specker hatte dieses traditionsreihe Seminar über Jahrzehnte hinweg weitergeführt, zuletzt zusammen mit Hans Läuchli, einem seiner Schüler. Das Seminar bot spannende Mathematik, das Treffen danach interessante Gespräche über Gott und die Welt. Wichtig war bei diesem Treffen, dass es eine Ehre(!) gewesen ist, die Rechnung bezahlen zu dürfen; und es wurden zahlreiche Methoden ausprobiert, wie man den Gewinner auf faire Art ermitteln kann.

Aber nach dem Tod von Hans Läuchli wollte Ernst das Seminar einstellen. Gerade an dem Tag, als Ernst die entsprechende Mitteilung an die Verwaltung der ETH schicken wollte, kam meine Anfrage, ob wir das Seminar nicht weiterführen wollen; ich stünde zur Unterstützung bereit. Resultat war, dass wir das Logikseminar noch weitere vier Jahre miteinander organisiert haben. In dieser Zeit habe ich viel von Ernst gelernt, mathematisch und menschlich.

Es zeigte sich dann, dass es mangels Einführungsvorlesung immer schwieriger wurde, das Seminar zu veranstalten. Also dachte Ernst darüber nach, das Logikseminar still und leise einschlafen zu lassen. Still und leise? Nein, dass man das traditionsreiche Seminar so beendet, das konnte aus meiner Sicht nicht sein. Zusammen mit Martin Fürer ging es los. Ohne Wissen von Ernst haben wir allerlei Kontakte geknüpft, Zeitungen angeschrieben, mit dem Mathematik-Departement gesprochen. Wir haben Fortschritte gemacht, aber irgendwann kam dann der peinliche Moment, Ernst unsere Aktivitäten zu beichten; und es war ein schönes Gefühl, dass Ernst doch mitgemacht hat. Herausgekommen sind dabei Artikel in der NZZ vom 1. Juli 2002 und in der NZZ am Sonntag vom 28. Juli 2002. Und zum richtigen Abschluss gab es am 2. Juli 2002 den Vortrag „Glanz und Elend der Logik“ von Professor Ernst Specker. Als Vortragsort hatten wir die Aula im Hauptgebäude der ETH reserviert. Martin Fürer war im Vorfeld etwas skeptisch, ob der Raum ausreichen würde, und hat zur Sicherheit den Audi Max auch noch reserviert. Diese Maßnahme kam mir zuerst unnötig vor, ich wurde aber eines Besseren belehrt. Die Aula war im Nu übervoll, und deshalb mussten wir doch in den Audi Max. Auf dem Weg dorthin begegnete Ernst meiner Frau und sagte zu ihr: „An der ganzen Sache ist Konrad schuld!“ Nun, diese Schuld trage ich gerne.

Es war ein spannender Vortrag, ein würdiger Abschied vom Logikseminar. Ganz am Ende der Videoaufzeichnung bin auch ich kurz zu sehen; der stille Begleiter, der mitgeholfen hat. Ich bin Ernst Specker für seine Freundschaft und seine mathematischen Inspirationen ungeheuer dankbar.

Konrad Schlude