Seitenblick auf Mani Matter: Värslischmid und politischer Denker

Ein Seitenblick auf Mani Matter

Dass der Mundart-Liedermacher Mani Matter (1936-1972) auch politisch aktiv war, das ist ja bekannt. So kandidierte Matter für die Gruppe „Junges Bern“ bei Wahlen in Stadt und Kanton Bern. Aber auch in den Liedtexten des selbst so genannten „Värslischmids” finden sich interessante Spuren von politischem Bewusstsein und Selbstverständnis. Dazu betrachten wir die folgenden Lieder:

  • Ballade vom Nationalrat Hugo Sanders
  • Hemmige
  • I han es Zündhölzli azündt
  • si hei d’r willhelm täll ufgfüehrt

Ballade vom Nationalrat Hugo Sanders

Diese „Ballade“ ist ein eindeutig politisches Lied. Es wird zunächst beschrieben, wie Hugo Sanders mit dem Motto „Wählet de Sanders – De wird’s ir Schwiz de ändlech anders!“ in den Nationalrat gewählt wird. Aber mit jeder Strophe wird das abgeschwächt, mit „gli wird’s ir Schwiz de ändlech anders!“ beginnt Sanders mit dem Entwurf seiner großen Rede; aber die Zweifel am Entwurf mehren sich, und Sanders meint: „Ig vormulieräs gschider anders!“

Die große Rede wird nicht gehalten, und das das Ende der Geschichte geht in das Fazit Matters über:

Är het korrigiert, ergänzt und gschtriche
Immer wider a sir grosse Red
So isch’s cho, das d’Amtsdur isch verschtriche
Ohni das er je se ghalte het!
Mänge wird de Sanders jetz uslache
Und wird dänke: „Ja, das chunt dervo!“
Die wo sälber nüt wei anders mache, lache
Sicher bsungesrs schadefroh!
Darum machet’s anders als de Sanders –
Nämlich machet’s anders, wird’s nid anders!
Darum machet’s anders als de Sanders –
Nämlech machet’s anders, wird’s nid anders!

Die politische Lehre ist offensichtlich, man kann nicht nur lamentieren, man muss sich einbringen, um notwendige Veränderungen zu erreichen. Und da kann man sich nicht ewig hinter Parolen verstecken, man muss auch wirklich aktiv werden.

Hemmige

Das ist das vielleicht bekannteste Lied von Mani Matter. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass viele Menschen Hemmungen hätten, so wie er – Mani Matter – ein Lied öffentlich vorzusingen; und dass das eine schwere Last sei:

si wäre vilicht gärn im grund gno fräch
und dänke, das syg ires grosse päch
und s’laschtet uf ne win e schwäre stei
dass si hemmige hei

Doch Matter führt das weiter, es sei geradezu ein Glück, dass wir Hemmungen hätten. Die Hemmungen seien das Unterscheidungsmerkmal der Menschen gegenüber dem Schimpansen (wobei der Hinweis auf den fehlenden Schwanz falsch ist, da Schimpansen auch keinen Schwanz haben). Diese Einschätzung begründet Matter beispielhaft mit „me stell sech d’manne vor, wenns anders wär / und s’chäm es hübsches meiteli derhär“, um dann in der letzten Strophe den Sinn des Liedes darzustellen:

und we me gseht, was hütt dr mönschheit droht
so gseht me würklech schwarz, nid nume rot
und was me no cha hoffen isch alei
dass si hemmige hei

Der Sinn des Liedes ist also die Verantwortung für die ganze Menschheit. Es wird zwar nicht explizit gemacht, wer da verantwortlich ist; das „si“ (sie) lässt sich vielfältig interpretieren als Mächtige, Politiker, Militärs. Aber man kann es auch als „wir alle“ interpretieren. In Zeiten von weltumspannender Kriegsführung und Massenvernichtungswaffen fordert  Matter also einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Möglichkeiten ein.

 

I han es Zündhölzli azündt

Es beginnt mit einer blumigen Beschreibung, wie sich Matter eine Zigarette anzünden will, das dazu verwendete Zündhölzli aber unglücklicherweise davonfliegt und auf dem Teppich landet. Es folgt der Witz, dass der Teppich doch zu teuer sei, um damit eine Zigarette anzuzünden, um dann über eine mögliche ungeheure Eskalation zu berichten. Das Zündhölzli führt zu einer Brandkatastrophe in der ganzen Stadt, die dann soziale Unruhen im ganzen Land auslöst. Immer weiter eskaliert die Situation bis hin zu:

D’UNO hätt interveniert
Und d’UNO-Gägner sofort o
Für ir Schwyz dr Fride z’rette
Wäred beid mit Panzer cho
S’hätt sech usdehnt nadisna
Uf Europa, Afrika
S’hätt e Wältchrieg gäh und d’Mönschheit wär jitz nümme da

Nach diesem möglichen Untergang der Menschheit beginnt Matter wieder von vorne, er wiederholt die erste Strophe, wobei er aber die letzte Zeile dieser Strophe abändert: Aus „Und es hätt no fasch es Loch i Teppich gäh dervo“ wird „Gottseidank dass i’s vom Teppich wider furt ha gno“. Der Erzähler hat also den beschriebenen möglichen Untergang der Menschheit noch abgewendet, bevor die Eskalation beginnen konnte.

Das Lied liefert ein interessantes Beispiel dafür, wie sich aus einer Kleinigkeit eine Katastrophe entwickeln kann. Aus dem Bewusstsein heraus, dass so etwas möglich ist, darf man nicht leichtsinnig agieren; man muss sich Gedanken über die Folgen eigener Tätigkeit machen, und man sollte Eskalationen vermeiden.

 

si hei d’r willhelm täll ufgfüehrt

Hier berichtet Matter über eine Theateraufführung von „Wilhelm Tell“. Die Inszenierung des schweizerischen Nationalstücks (geschrieben von einem Schwaben!) beginnt sehr getragen, aber aus einer Kleinigkeit heraus bricht auf der Bühne ein Streit aus, und in seinem kraftvollen Dialekt „mit helebarde, kartonschwärt, kulisse, schlöi sy dry“ beschreibt Matter, wie der Streit zu einer gewaltigen Saalschlägerei ausartet. Bei dieser Schlägerei geht es nicht mehr um das Theaterstück, der fiktive Konflikt des Theaterstücks wird Realität, aus dem natürlich die „richtige Seite“ als Sieger hervorgeht: „zwo schtund lang het das duuret, do isch öschtrich gschlage gsy.“

Bis hierhin ist nicht klar, was das Lied aussagen soll. An dieser Stelle wiederholt Matter die ersten Zeile „si hei der willhelm täll ufgfüehrt im löie z’nottiswil“ und hängt den Witz „und gwüss no niene in naturalistischerem schtyl“ an. Nach dem Hinweis „d’versicherig het zahlt“ kommt dann die Auflösung:

hingäge eis weiss ig sithär,
sy würde d’freiheit gwinne, wenn sy dä wäg z’gwinne wär

Die dann noch durchgeführte Wiederholung der letzten Zeile unterstreicht die Bedeutung des ganzen Liedes; es geht darum, dass durch Pöbelei keine Freiheit zu gewinnen ist. Somit wendet sich das Lied gegen simple Vereinfachungen in der politischen Diskussion.

 

Fazit

Diese Beispiele zeigen, dass es in den Liedern von Mani Matter nicht nur amüsanten, spritzigen Umgang mit dem eigenen Dialekt gibt; vielmehr hat der geniale Värslischmid sehr wohl zeitlose politische Einsichten parat, über die man nachdenken sollte.


Konrad Schlude

Nicht nur ein Seitenblick auf Mani Matter, Buch von Christine Wirz.