Leserbrief zum Artikel „Die andere Dimension“, FAZ vom 16.11.2009
Sehr geehrte Damen und Herren,
wer sich mit Fraktalen beschäftigt, der stösst unweigerlich auf Benôit Mandelbrot, der auf diesem Gebiet ungeheuer viel geleistet hat. So ist es gut, dass Sie zum 85. Geburtstag Mandelbrots einen Artikel über ihn veröffentlichen. Doch auch in der Mathematik ist es oft so, dass die Ehre einer Entdeckung nicht dem Erstentdecker zuteil wird, sondern einem Nachfolger.
Dies trifft insbesondere auf die Frage der fraktalen Dimension zu, mit der sie Ihren Artikel über Mandelbrot einleiten. Der Hinweis darauf erscheint mir auch im Hinblick auf den gestrigen Volkstrauertag wichtig, denn der Protagonist war ein bedeutender deutscher Mathematiker, der ein spezielles „deutsches Schicksal“ erlitten hat.
Felix Hausdorff lebte von 1868 bis 1942. Zahlreiche Gebiete der modernen Mathematik hat er durch seine Arbeiten beeinflusst und mitgeprägt, er zählt zu den Großen der Mathematik des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1919 veröffentlichte er den Artikel „Dimension und äußeres Maß“ Darin legt Hausdorff dar, wie man einigen schon länger bekannten (wenn auch nicht so benannten) Fraktalen auf eine sinnvolle Art und Weise eine Dimension zuordnen kann. Auch heute noch wird das als die „Hausdorff-Dimension“ bezeichnet.
Sein spezielles „deutsches Schicksal“ basiert darauf, dass Felix Hausdorff Jude war. Auch er war den Verfolgungen durch den Nationalsozialismus ausgesetzt. Als sich auf Grund des Alters keine Möglichkeit der Emigration mehr bot und die Deportation in ein Lager anstand, nahm sich Hausdorff das Leben.
Es ist geradezu tragisch, dass ein über Jahrzehnte hinweg erfolgreicher und verdienstvoller Mathematiker, der die deutsche Forschung geprägt und als international führend vorangebracht hatte, vom deutschen Staat in den Selbstmord getrieben wurde. Der Volkstrauertag ist daher auch ein Gedenktag für Felix Hausdorff.
Konrad Schlude
Referenz: Felix Hausdorff: Dimension und äußeres Maß, Math. Ann. 79, 157 (1919).