Jestetten und der Rest

Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu erkennen, dass der Jestetter Zipfel nicht gerade im Zentrum des Landkreises Waldshut liegt. Mehr noch, schon der Ausdruck „Zipfel“ illustriert die Lage am äußersten Rand recht gut. So kann man sich schon fragen, wie groß denn der Zusammenhang von Jestetten mit dem Rest des Landkreises ist. Es ist auch nicht verwunderlich, dass es in Jestetten immer wieder Stimmen gibt, wonach man im Landkreis viel zu wenig
Beachtung finden würde. So weit, so un-gut.


Es mag tatsächlich sein, dass der Jestetter Zipfel zu wenig Beachtung im Landkreis findet, doch liegt das nur an „den anderen“? Meine Erfahrung ist die, dass Jestetten sehr wohl Leute anzieht, wenn sich Jestetten auch einmal auf seine Stärken besinnt, bzw. diese erst einmal erkennt.
Im letzten Jahr erlebte Jestetten eine Art von archäologischem Boom. Für einige Wochen war die Wanderausstellung „Die Kelten an Hoch- u. Oberrhein“ im Jestetter Rathaus zu sehen. Die Besucher strömten, darunter viele aus der Schweiz und eben auch aus dem Landkreis Waldshut. Die enorme Bedeutung der keltischen Siedlung von Altenburg zeigte sich auch darin, dass auf der
Begleitpublikation des Regierungspräsidiums drei keltische Fundgegenstände abgedruckt waren; und alle drei stammen aus Altenburg. Zur Zeit läuft auch ein mehrjähriges grenzüberschreitendes Untersuchungsprojekt der Kantonsarchäologie Zürich in Jestetten. Erste Ergebnisse wurden bereits
in einem Vortrag der Öffentlichkeit präsentiert, und auch zu diesem Vortrag kamen zahlreiche Besucher von außerhalb.
Die Ausstellung über den Jestetter Bildhauer Siegfried Fricker (1907-1976) war ein anderer Anziehungspunkt im vergangenen Jahr. Auch hier strömten die Besucher, sie kamen teilweise von weit her, manche sogar mehrmals. Zu erwähnen ist dabei noch, dass es noch weitere Jestetter Bildhauer mit Wirkung weit über den Heimatort hinaus gibt, so Eberhard Rieber und Ekkehard Altenburger.

Im Jahr 2003 wurde Jestetten im Rahmen einer Lehrveranstaltung „Grenzlandschaft Rheinbogen“ der Fachhochschulen Nürtingen, Rapperswil und Weihenstephan auf sein Potenzial hin untersucht. Die Studenten, die ihre Resultate präsentierten, waren insbesondere von der Form und der enormen
Vielfalt der langen Landesgrenze begeistert. Für die Doppelschleife des Rheins um Altenburg und Rheinau herum fanden sie gar den Ausdruck „Geomorphologisches Wunder“.

Diese drei Punkte zeigen, dass Jestetten ein enormes Potenzial für Wirkung nach innen und außen hat. Doch wie gehen wir Jestetter mit diesem Potenzial um? In einer Diskussion sagte mir kürzlich eine führende Persönlichkeit aus Jestetten: „Ach die Rheinschlaufe, in Waldshut kennt die kein Mensch.“ Es mag stimmen, dass die Rheinschlaufe bei den Waldshutern nicht besonders bekannt ist, aber stimmt auch die unausgesprochene Folgerung „… und damit vergessen wir dieses Thema?“ Wohl nicht! Sagen wir doch einfach den Waldshutern: „Wisst ihr schon, wir haben eine doppelte Rheinschlaufe, und die ist ein geomorphologisches Wunder“.
Fazit: Auf der Landkarte betrachtet, ist der Jestetter Zipfel ein abgeschiedenes Anhängsel des Landkreises. Es ist aber andererseits auch ganz klar, dass es der beste Zipfel ist. Jestetten ist archäologisches Boomland und eine Bildhauergemeinde, hat die vielfältigste und schönste Landesgrenze und insbesondere ein geomorphologisches Wunder. Und wenn jetzt wieder jemand sagt: „Da und dort weiß das kein Mensch“, dann entgegne ich „Dann sagen wir es denen halt einfach einmal“.


Konrad Schlude