Das Kuhdorf Jestetten

Heuernte mit Kuhgespann, Foto von Josef Kaier (4. von rechts)

Zumindest seit dem 29. Mai 1996 ist diese Überschrift vollkom­men falsch; denn wie man den Begriff „Kuhdorf“ auch definie­ren will, die sinnvolle Verwendung dieses Begriffs setzt die Exi­stenz von ­Kü­hen im Dorf vor­aus. Und seit Max Sigg am 29. Mai seine letzte Kuh „Chüeli“ abgegeben hat, gibt es im ganzen Ort keine Kühe mehr[1].

Das mag vollkommen unwichtig erscheinen, auf eine Kuh mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an; aber diese letzte Kuh ist doch ein Symbol für den Wandel der letzten Jahrzehnte.

Laut der Viehzählung vom Dezember 1929[2] gab es damals in Jestet­ten 525 Rinder, davon waren 256 Milchkühe; Jestetten war halt einfach ein Bauerndorf, in dem die harte Arbeit in der Land­wirtschaft sicherlich keinen Anlaß zu romantischer Verklä­rung bot. Über Generationen hinweg wurde dem Boden das Lebens­notwen­dige abgerungen, manchmal gab es einen kleinen Überschuß, oft genug aber auch großen Mangel.

Doch das ist alles Vergangenheit, die Ställe und Scheunen ha­ben schon lange andere Benutzung gefunden. Mit immer weniger Men­schen produziert uns ­die heuti­ge Land­wirt­schaft einen bis vor kurzem ungeahnten Über­fluß. Wir können (müs­sen?) uns sogar den Luxus erlauben, land­wirt­schaft­lich genutzte Flä­chen in Golf­plätze umzuwandeln. Kurz, uns geht es einfacht gut.

Allerdings stellt sich doch die Frage, ob wir bei diesem Wan­del nicht auch etwas verloren haben? Wo bleibt die Eigenständigkeit eines Dorfes, das zum größten Teil vom Frankenkurs lebt? Zum Boden, der uns ernährt haben wir oft genug keinen Kontakt mehr, die Heimat wird austauschbar. Und aus einer fremden Welt muß uns das folgende Gedicht[3] erscheinen:

Täglich, spricht der alte Hahn,
fängt ein neues Tagwerk an,
seit die Welt von Gott, mein Christ,
kikriki erschaffen ist.

Denn die Einbettung der menschlichen Existenz in Arbeit, den Lauf der Jahreszeiten und eine göttliche Ordnung gibt es so nicht mehr.

Das Bauerndorf Jestetten ist Vergangenheit; wir können noch die alten Geräte aufbewahren, aber ohne Nutzung können diese Geräte nur steril und unlebendig wirken. Wir wissen nicht, was noch aus Jestetten werden wird, hoffentlich mehr als nur eine Einkaufs­stätte für Schweizer und eine Schlafstätte für Grenzgänger.

    [1]Am 12.9.96 gab es auf dem Flachshof 16 Kühe und auf dem Spatzenhof 14 Kühe außerhalb des Ortes.

    [2]aus: G. Jäger: Jestetten und seine Umgebung

    [3]aus: Konrad Weiß: Die kleine Schöpfung


Konrad Schlude