Aus der badischen Nachbarschaft. Historische Blicke der Schaffhauser Zeitung auf Jestetten und das damalige Zollausschlussgebiet

LZ127 Graf Zeppelin über Jestetten, Foto von Josef Kaier

Im Jahr 1930 erschien das Buch „Jestetten und seine Umgebung“, das über Jahrzehnte das heimatkundliche Standardwerk für Jestetten gewesen ist. Autor war ein Dr. Georg Jäger, ein katholischer Priester, der sich während seiner Zeit in Jestetten von Ende 1929 bis Anfang 1933 auch sehr stark gegen den aufkommenden Nationalsozialismus gewehrt hat. Trotzdem ist Dr. Georg Jäger als Person kaum bekannt. Daher soll nun in einem Artikel für die Jestetter Dorfchronik 2018 über das Leben und das Wirken Jägers in Jestetten berichtet werden. Dazu werden unter anderem die Lebenserinnerungen ausgewertet, die Jäger in den 1950er Jahren geschrieben hat.

Als eine weitere mögliche Quelle wurde die Schaffhauser Zeitung untersucht. Denn Georg Jäger war von 1927 bis 1929 Redakteur dieser Zeitung. Es stellte sich die Frage, ob sich der persönliche Bezug Jägers zur Zeitung auch in einer intensiveren Berichterstattung über das Wirken Jägers in Jestetten niederschlägt. Diese Frage kann nur verneint werden, die Schaffhauser Zeitung berichtete nicht einmal über das Erscheinen des Buches – dies im Gegensatz zu den noch heute existierenden Schaffhauser Nachrichten – und auch nicht über die öffentlichen Veranstaltungen Jägers, wie etwa seine „Volksbildungsvorträge“ zu „Nie wieder Krieg“ oder „Friedensarbeit“.

Die Schaffhauser Zeitung berichtete in dieser Zeit intensiv über die Politik in Deutschland, thematisiert wurden auch immer wieder die Fahrten des Luftschiffs LZ 127 „Graf Zeppelin“, aber in der Rubrik „Aus der badischen Nachbarschaft.“ kamen fast keine politischen Artikel vor. Jedoch bot diese Rubrik spannende Einblicke in andere Bereiche.

Der Autoverkehr war schon 1930 ein wichtiges Thema, und so berichtete die Schaffhauser Zeitung immer wieder über Verkehrsunfälle. Am 4. Juni gab es einen Artikel zu einer Reihe von besonders unglücklichen Unfällen.

„Während am Sonntag der bei einem Motorradunglück zum Opfer gefallene Knabe Wilhelm Metzger beerdigt wurde, starb im Spital in Waldshut die am Samstag morgen verunglückte Berta Aulfinger und am gleichen Abend gab es schon wieder ein neues Unglück. Ein kleines Auto kam bei einer Kurve in der Nähe des Kaufhauses Holzscheiter in Schleudern und überschlug sich. Während der Wagenlenker mit dem bloßen Schrecken davonkam, geriet ein mitfahrender Eisendreher unter den Wagen und wurde erheblich verletzt.“

Manche Berichte wirken hingegen amüsant. So etwa der Bericht vom 6.2.1930 über zwei Fabrikanten aus Winterthur, die nachts um 2 Uhr im Neben von der Straße abkamen und deren Auto von den Gebrüder Buchter mit Pferden aus dem Graben gezogen wurden. Die „fröhlichen und vornehmen Winterthurer Fabrikanten“ gaben den Brüdern jeweils ein „20-Frankenstück in Gold“.

Weniger freundlich waren hingegen einige Lottstetter Jugendliche, die eine Leiter auf die Straße legten. Durch glückliche Umstände gab es keinen Unfall. Gemäß der Schaffhauser Zeitung vom 8.2.1930 wurden drei Burschen als Täter ermittelt.

Wie sich die Zeiten ändern, das zeigt insbesondere ein Artikel vom 18.1.1930. Ein „Herrschaftsauto“ fuhr durch Jestetten und geriet in ein Rudel Jungvieh, so dass am „kostbaren Auto“ beide Kotflügel abgerissen wurden.

„Einige Minuten später mußte der Autolenker desselben Wagens auf zwei Meter stoppen, weil ihm ein Stück Vieh in den Wagen hineinrannte. Durch das rasche Bremsen wurde der Wagen dermaßen beschädigt, daß er nach der Reparaturwerkstätte abgeschleppt werden mußte. Die Unsitte, daß man das Vieh auf den Dörfern führerlos sich selbst überläßt, sollte doch von amtswegen gesteuert werden.“

Das hat sich natürlich längst geändert, es gibt nicht nur keine Rindviecher mehr auf den Straßen, es gibt gar keine Kühe mehr in Jestetten.

Auch der Eisenbahnverkehr war ein Thema, insbesondere der „Zollwagen“ der Eisenbahnverbindung zwischen Bülach und Schaffhausen, die ja durch den Jestetter Zipfel führt. Im ersten Weltkrieg wurde der Zollwagen eingeführt, um den Personenverkehr besser kontrollieren zu können. Alle Reisenden von/nach Lottstetten, Jestetten und Altenburg-Rheinau mussten diesen Wagen benutzen. Am 10. Januar 1930 bemerkte die Schaffhauser Zeitung dazu:

Nun sind aber seit Friedenschluß bereits 12 Jahre verflossen und die Maßnahmen sind bestehen geblieben, ohne irgendwelche Erleichterungen in dieser Beziehung für die Bewohner des Zollausschlußgebiets zu schaffen. Es fällt jedem, der von Zürich nach Schaffhausen nach dem Zollausschlußgebiet reist, recht unangenehm auf, daß für die Bewohner des Zollauschlußgebietes stets nur ein Wagen dafür reserviert wird, während andere Wagen, die leer mitlaufen, abgesperrt werden. Entweder ist dieser angewiesene Wagen bereits überfüllt, oder er wird es nach einigen Stationen. Bei jeder Station beginnt von dem Kondukteur ein Geschrei, „Hinten einsteigen, hinten einsteigen!“, „Nach dem Zollausschlußgebiet hinten einsteigen“! Es mutet einem eigenartig an, wenn man auf jeder Station diese Rufe hört, als ob die Bewohner des Zollausschlusses wilde Indianer wären, die man von den anderen Mitreisenden absondern müsse. Die Schweiz. Bundesbahn, die doch sonst so großzügig ist, dürfte auch darin endlich einmal Abhilfe schaffen und nach bereits zwölfjährigem Friedenschluß sollen auch wieder internationale Beziehungen gepflogen werden, zum Segen der Allgemeinheit und der Staaten und zuletzt für die Bewohner des Zollausschlußgebietes.

Zu bemerken bleibt, dass der Zollwagen noch über Jahrzehnte bestand hatte. Zwar gab es das Geschrei nicht mehr, aber die mitfahrenden Zöllner achteten mitunter sehr genau darauf, dass keine anderen Wagen benutzt wurden.

Natürlich wurde auch 1930 über Schmuggel berichtet, allerdings handelte es sich im Artikel vom 6. Juni 1930 um besonderes Schmuggelgut, nämlich um Maikäfer! Die badischen Grenzgemeinden hätten entdeckt, „daß von der Schweiz aus nächtlicherweise zentnerweise Maikäfer nach Baden hineingeschmuggelt wurden. Denn ennet dem Rhein zahlen die Gemeinden bis zu 20 Pfennig pro Liter Maikäfer, dieweil die schweizerischen Gemeinden in den seltensten Fällen so weit gehen. Das Geschäft war daher recht einträglich und florierte, wie es der neuesten Industrie nicht schöner passieren könnte. Sintemal die schweizerischen Maikäfer zu Aerger aller Nationalisten sich durch kein äußeres Zeichen von den badischen unterscheiden.“

Die Zeiten ändern sich, aber manche Themen bleiben halt in neuen Ausprägungen erhalten.


Dr. Konrad Schlude