Zum 100. Geburtstag des Bildhauers Siegfried Fricker

Siegfried Fricker (Mitte) in seiner Werkstatt, links seine erste Ehefrau Josefine (gest. 1941), rechts sein Bruder August „Gusti“.

Es fällt schwer, in Jestetten den Kunstwerken des Bildhauers Siegfried Fricker (3. März 1907 – 25. Februar 1976) nicht zu begegnen. Übers ganze Dorf verteilt finden sich Objekte aus der Werkstatt Frickers aus verschiedenen Phasen, Materialien und Stilen. Dazu gehören unter anderem die Glasfenster und Steinreliefs am Rathaus, Wandbilder/Sgraffito (z.B. evangelisches Pfarrhaus), der Kreuzweg in der Pfarrkirche St. Benedikt und das hölzerne Feldkreuz auf dem Birret. Ebenso zählen etliche Grabsteine auf dem Friedhof dazu, darunter der eigene. Würde man noch Altenburg und die Nachbargemeinden betrachten, so liesse sich die Liste noch viel weiter fortsetzen.  Dem Kreuzweg in St. Peter (Mannheim) ist sogar ein Buch gewidmet[1]. Das wohl am weitesten entfernte Werk ist die Innenausstattung der Dormitiokirche in Jerusalem.

Das Wissen um Siegfried Fricker als einen grossartigen Künstler und eine beeindruckende Persönlichkeit ist in Jestetten nicht mehr im gleichen Maß verbreitet wie seine Kunstwerke. Während einige, die Fricker noch gekannt haben, überaus intensiv und begeistert über ihre Erfahrungen mit ihm erzählen, zucken andere ob des ihnen unbekannten Namens nur mit den Schultern.

Siegfried Fricker (Mitte) in seiner Werkstatt, links seine erste Ehefrau Josefine (gest. 1941), rechts sein Bruder August „Gusti“.

Eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle im Leben Siegfried Frickers spielte der tief verwurzelte christliche Glauben. Im damaligen kath. Gesellenverein (heute Kolping) ist Fricker früh aktiv, in der schwierigen Zeit  des Nationalsozialismus ist er der Senior. Es wird berichtet, Fricker habe die Mitgliedslisten „mit geheimer Schrift“ geführt, um allfällige Nachstellungen seitens des Staates gegenüber den Mitgliedern zu erschweren[2]. Das Meisterstück, eine steinerne Christopherus-Figur, wird, um das christliche Motiv durch die Meisterprüfung durchzubringen, als „Wassergeist“ tituliert. Auch während seines Einsatzes als Soldat in Russland bleibt Fricker gegenüber der Kunst und seinem Glauben treu. Anstatt der Stein- u. Holzbildhauerei widmet er sich der Malerei. Auf den Rückseiten von zerschnittenen Landkarten entstehen Landschaftsbilder und ein gemalter Kreuzweg; und zwar im richtigen Format, so dass sie per Feldpost heimgeschickt werden können. Ein wichtiges Objekt aus der Zeit ist ein gemaltes Altartuch; in den Kriegswirren ging dieses Altartuch verloren, erst kurz vor dem Tod Siegfried Frickers taucht das Tuch über einen Bekannten wieder auf.

Nach der Rückkehr aus dem Krieg ist Siegfried Fricker weiterhin künstlerisch und sozial aktiv. Neben dem Einsatz für die Kolpingfamilie betätigt sich Fricker auch für die Fasnacht; so entstehen geschnitzte Fasnachtsmasken und die Düfelsgabel. Für seine Verdienste wird Fricker zum Ehrenmitglied des Narrenvereins ernannt.

Das soziale Engagement zeigt sich auch darin, dass Fricker 1946 zu einem Gründungsmitglied des Ortsverbandes der  „Badischen Christlich-sozialen Volkspartei (BSCV), der nachmaligen CDU wird.

Das Spektrum der Arbeiten Frickers ist breit. Neben seinen Arbeiten in Holz und Stein gibt es auch Kunstwerke aus Glas und Bronze. So heisst es in einem Nachruf[3]: „Was immer er für ein Material zur Hand nahm, er belebte es.“

Georgsfigur für die Gewerbeschule, Bronze

Fricker experimentiert mit Material, Formen und Stil und bleibt doch immer seinen Grundwerten und insbesondere dem christlichen Glauben fest verbunden.

Die für Fricker typische Verbindung von Tradition und Moderne zeigt sich in seinem Beitrag zur Diskussion über den Abriss und Neubau der katholischen Kirche zu Begin der 1960er Jahre. Wie das noch erhaltene Modell seines Beitrags zeigte, wollte Fricker den gotischen Chor der alten Kirche erhalten und nur das alte Kirchenschiff durch einen modernen Bau ersetzen.

Siegfried Fricker war unter anderem für seine Kreuzwegdarstellungen bekannt, in Jestetten sind gleich zwei zu besichtigen. Der Kreuzweg in der Pfarrkirche St. Benedikt war Frickers erster (1933/34), noch in einem traditionellen Stil. Der Kreuzweg in der Kapelle des Altersheimes (1957) entstammt einer mittleren Schaffensperiode. Der Stil hatte sich geändert, die Stationen sind keine Tafeln mehr, vielmehr bestehen sie nur noch aus den handelnden Figuren. Bis zu seinem letzten Kreuzweg in Ohlsbach von 1973 wird sich der Stil nochmals ändern. Neben die eigentliche Darstellung der Passion Christi plaziert Fricker noch weitere Szenen, die er mit der Station verbindet.

Die Stile ändern sich, aber bestimmte Elemente bleiben gleich. Da ist beispielsweise die Station 4 „Veronika reicht Jesus ihr Schweisstuch“. Schon  in seinem ersten Kreuzweg stellt Fricker eine etwas andere Szene dar: Es ist nicht Veronika, die dem leidenden Jesus ihr Schweisstuch reicht, vielmehr ist es ein starker Jesus, der Veronika ihr Schweisstuch mit seinem Abbild darauf zurückgibt. Aus einer Szene der Schwäche ist eine Szene der Zuversicht geworden. In eine ähnliche Richtung geht auch die XV. Station, die es im offiziellen Kreuzweg gar nicht gibt. Als Zeichen, dass der Tod nicht das Ende markiert, folgt in vielen Kreuzwegen Fricker der offiziell letzten, XIV. Station „Jesus wird ins Grab gelegt“ die XV. Station der „Auferstehung Christi“.

Eine Station des letzten Kreuzwegs von Siegfried Fricker

Was ist nun von Siegfried Fricker geblieben? Nach und nach verschwinden Werke von ihm, bei Haushaltsauflösungen gelangen immer mal wieder Werke in den Müll, Grabsteine werden nach Ablauf der Ruhefrist abgeräumt, Wandmalereien verschwinden mit dem Abriss des Gebäudes (vormaliges Haus Leo Binder in der Bahnhofstrasse). Im Zuge der notwendigen Aussenisolation des evangelischen Pfarrhauses wurde das dortige Wandbild Frickers hinter der Isolation verborgen; es spricht für das Verantwortungsgefühl der evangelischen Pfarrgemeinde, dass durch Radegund Fricker (Tochter von Siegfried Fricker) und Eberhard Rieber (Sohn von Gerhart Rieber, der in der Werkstatt Siegfried Frickers mitgearbeitet hat) eine Kopie des Wandbildes angefertigt worden ist, das nun das Pfarrhaus ziert.

Im Rahmen einer Ausstellung zum 30. Todestag / 100. Geburtstag von Siegfried Fricker soll an sein Leben und sein Werk erinnert werden. Angesichts der Qualität und der Menge des vorhandenen Materials wird diese Ausstellung nur einen Einblick liefern können. Die Ausstellung wird also kein Abschluss der Beschäftigung mit Siegfried Fricker sein, sondern ein Auftakt für die weitere, notwendige Auseinandersetzung mit ihm. Das reichhaltige Erbe Siegfried Frickers ist somit eine Verpflichtung, der wir uns stellen sollten.

Weitere Literatur zu Siegfried Fricker:

  • Karl Bladt:
    Der Bildhauer Siegfried Fricker als Maler
    in: Jestetter Chronik 1975, S. 46 – 51
  • Karl Bladt:
    Der Bildhauer Siegfried Fricker
    in: Jahnke/Danner (Hrsg.): Das Jestetter Dorfbuch
    Kunstverlag Josef Fink, 2001
    S. 435 – 437

 

[1] Günther Saltin: Nimm uns mit auf deinen Weg, Echter Verlag, 1989

[2] Festschrift „60 Jahre Kolpingfamilie Jestetten“, 1983

[3]„ IN MEMORIAM SF“ Nachruf aus „Der Kompass“, Pfarrgemeinde St. Peter (Mannheim),  21.3.1976


Konrad Schlude

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