An „Mathe“ scheiden sich die Geister

Mathematisches Konstrukt: Ein undendliches Horn, das in sich selber verläuft.

Leserbrief an den Südkurier:

Die Diskussion um die Gestaltung des Mathematikunterrichts halte ich für berechtigt und wichtig. Viele Schüler haben Probleme mit der Mathematik; als nunmeriger Diplom-Mathematiker war das bei mir auf der Schule zwar nicht der Fall, bei einigen Nachhilfeschülern jedoch habe ich die Qualen der Mathematik erlebt.

Trotzdem halte ich die Folgerung des Privatdozenten Heymann, den Mathematikunterricht ab den höheren Klassen zu splitten, für grund­sätzlich falsch.

In jedem Fach gibt es Schüler, die mit diesem Fach große Probleme haben; folglich könnte man die Argumentation Heymanns auch auf alle Fächer anwenden. Beispielsweise die Fremdsprachen, hier kann man argumentieren, einem schlechten Schüler in Englisch nützen seine mini­malen Englischkenntnisse später sowieso nichts, also kann man es gleich bleiben lassen; oder die Lektüre in Deutsch, in Gesprächen höre ich öfters die Aussage: „Ich glaube schon, daß Schiller (oder Shake­speare usw) ein großer Dichter war; aber in der Schule haben wir einmal ein Stück von ihm gelesen, das hat mich abgeschreckt!“. Man müßte daher in ziemlich jedem Fach splitten, was dann zur Folge hätte, daß die guten Schüler eine Vollausbildung bekämen, während die weniger guten nur einen Magerabschluß erhielten.

Auch wenn viele Schüler nach ihrem Schulabschluß mit dem gelernten Mathematikstoff nicht mehr viel anfangen können, ist das für mich noch lange kein Grund, den Stoffumfang zu verringen. Denn auch diese Argu­mentation kann man auf die anderen Fächer übertragen. Was nützt es einem Handwerker, in der Schule Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“ gelesen zu haben, und von ihrem Wis­sen, daß der Reichs­depu­ta­tion­haupt­schluß im Jahr 1803 eine Neuordnung Deutschlands bedeutete, können nur die wenig­sten Schü­ler nach ihrem Ab­schluß profi­tieren; das sind natür­lich nur klei­ne Bei­spiele, aber einen Groß­teil des in der Schule ge­lernten Stoffes wird man auf die folgende Art charakterisie­ren können:

gelernt – geprüft – vergessen

Und trotzdem wird dieser Stoff gelehrt, weil man den Schülern die Möglichkeit der Bildung geben muß. Es ist eine vollkommen andere Frage, ob der Schüler mit dieser Möglichkeit etwas anfangen kann. Jedenfalls halte ich es für sehr gefährlich, den Schülern nur das beizubringen, von dem man glaubt, daß sie es später benötigen. Denn erstens können sich Berufsbilder wandeln. Und zweitens ist ein be­schränkter Bildungshorizont sehr gefährlich, wenn man sich der Grenze nähert; man sollte deshalb das Bildungsziel lieber etwas höher anset­zen.

Und in einer Zeit, in der immer mehr Wert auf die Schulbildung gelegt wird, was sich unter anderem darin zeigt, daß immer mehr Schüler das Gymnasium besuchen, sollte man die Qualität nicht verringern.

Heymann hat offensichtlich die Meinung, die Schulmathematik habe viel mit einem Mathematikstudium zu tun. Dieser Meinung muß ich widerspre­chen; das Verhältnis von Schulmathematik und Mathematikstudium er­innert mich an das Verhältnis vom Bau einer Sandburg und dem Bau eines Hauses: durch das erste erhält man einige Einblicke und etwas Begei­sterung ­für das zweite, das Wesen der Sache hat man aber noch lange nicht verstanden.


Konrad Schlude